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Samstag 12.06.2021

Mit nicht grosser Erwartung ans Wetter, steht heute mal wieder Segelfliegen auf dem Tagesprogramm. Das Herausräumen und Fliegerverteilen dauert heute etwas länger, da die aus dem Norden Angereisten in einen Verkehrsstau geraten, nichts desto trotz stellt sich mir die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre bei den langen Sommertagen das Briefing generell um 30-60min früher anzusetzen.

Wie auch immer, um 10:25 geht es los, in der LS-6. Im Schlepptau vom Tschifferli fliegen wir zur zweiten Schlierenkrete. Weisse Kumuluswolken hat es schon einige am blauen Himmel. Wie so oft brauche ich bei den ersten zwei Thermikschläuchen etwas Angewöhnungszeit. Hinzu kommt, dass ich dieses Jahr das erste Mal mit einem Einsitzer unterwegs bin.

Danach läuft es ganz ordentlich, die Schläuche ziehen gut, doch vor und nach den Schläuchen sinkt es markant und schnelles an- und abfliegen ist gefordert. Um die mühsam erarbeite Höhe nicht gleich wieder einzubüssen.

Vor dem Hohgant steht ein guter Aufwind, bringt mich auf ca. 2700m so dass ich beim Niederhorn auf 2500m ankomme. Viel mehr Höhe kann ich hier heute nicht machen und fliege deshalb gleich weiter zum Stockhorn, die ganze Gegend im Westen zeichnet gut und es sieht wirklich einladend aus.

Bei Gstaad habe ich Mühe etwas Anständiges zu finden, aber der Flugplatz ist direkt unter mir und Höhe habe ich auch noch genug. Durch den Wind lösen sich die Aufwinde heute eher im Talkessel als direkt auf der Krete. Eine Herausforderung, die ich gerne annehme. Vor Leysin drehe ich um 180 Grad in Richtung Osten, da die letzten Kreten vor dem Sprung über die Rhone nach Frankreich kaum zeichnen. Auf Blauthermik verzichte ich vorerst.

Der nächste Aufwind veranschaulicht mir eindeutig, dass wir heute eine signifikante Nord-Nordostwind Komponente haben. Die Thermik löst tief im Tal und sobald ich höher als die Krete bin, sind die Schläuche verrissen und versetzen sich entsprechend mit dem Wind.

Beim Blick hinüber zum Wallis sehe ich vereinzelt Wolken die gerade noch hinter den hohen Walliserbergen herausschauen. Entsprechend ist die Basis ist nicht gerade hoch, aber die Westschweizer im Funk meinen es gehe ganz ordentlich. Obwohl auf die Funksprüche von fremden Piloten selten verlass ist, beurteile auch ich die Lage als fliegbar. Beim Sanetschpass quere ich ins Wallis und finde schnell Anschluss.

Nach dem ersten Schlauch im Wallis, bis zum Ende der TMA 3 von Sion, zeichnet die Thermik kaum. Blauthermik. Der Wind leistet seinen Beitrag. Die Schläuche sind hier eher Schwach und zerrissen, aber die bekannten Spots gehen auch heute, wenn auch etwas weniger stark als sonst.

Im gestreckten Galopp durchquere ich das Obergoms, bei Münster tanke ich noch Zusatzhöhe und verlangsame meinen Flug. Denn einmal mehr ist die Gegend um die hohen Schweizer Pässe wie leergefegt. Im Tessin sieht es aber vielversprechend aus und andere melden dort: «Ambri 3500m» Attraktive Wolkenbasis, da will ich hin. Hinter dem Furka trampe ich ausversehen in einen ausgezeichneten Aufwind im wolkenlosen, blauen Himmel. Die Zusatzhöhe nehme ich gerne mit und erlaubt mir einen entspannten Flug zum Pizzo del Sole.

Sein Name ist Programm und es geht dort, wie so oft, steil nach oben. Mit dem Süden habe ich mich seit dem Lager in San Vittore gut angefreundet und alte Erinnerung werden wach. Der Süden ist ein Traum, die Schläuche stehen hier wieder etwas senkrechter und der ferne Blick in den Osten sieht überaus vielversprechend aus.

Kurz überlege ich mir ob ich ins Veltlin runterfliegen will. Müsste dann aber vermutlich denselben Weg zurückfliegen, was mich noch nie reizte. Auf Grund dessen entscheide ich mich für die Flugroute durchs Bergell. Die Basis um das Berninamassiv sieht sehr gut aus und die wunderschönen Granitberge auf der Südtalseite verleiten mich, den Weg etwas anzupassen, zu verlangsamen, um die Berge näher und länger geniessen zu können.

Bergell mit Piz Bardil

Ich schaue auf die Uhr und kann es kaum glauben, dass es erst 14:30 Uhr ist und prüfe sogar noch mein Handy ob es dieselbe Zeit anzeigt, auch wenn ich mir sicher bin, dass ich noch keine Zeitzone durchflogen habe. 😊 14:30 sagt auch das Handy. Nun, umso besser denke ich mir, dann gibt das heute einmal mehr als vermutetet einen ganz ordentlichen Streckenflug!

Der Einstieg ins Engadin klappt gut, auch wenn ich über eine kurze Distanz etwas übermotiviert vorfliege und dadurch etwas tiefer im Tal als vorgesehen Höhe tanken muss. Kann auch sein, dass ich mich durch ein anderes Segelflugzeug 300m neben mir zum schnell fliegen verleiten lasse. Übermut tut selten gut.

Oberengadin one o’clock!

Beim Berninapass angelangt öffnet sich der volle Blick in den Osten. Überall sieht es super aus. Ein wahrer Traum. Das überfordert mich und ich weiss gar nicht wo ich jetzt hinfliegen will. Der BFK Kurs von Samaden leitet oder verleitet mich und ich fliege bereits geflogene Routen. Die Aufwinde zu finden ist in der Gegend gar nicht so einfach, es liegt hier immer noch extrem viel Schnee, es hat viel Wind und wenn ich einen Schlauch gefunden habe «verliere» ich ihn fast immer 100-200m unter der Basis. So segele ich immer unvollendeter Taten, wehmütig nach oben schauend weiter.

In der Zwischenzeit sind immer wieder hohe Zirrenfelder über mir hinweggezogen. Die Zirren Schleier werden immer breiter und dicker. Die Sonne verschwindet zum Teil und verliert ihre Einstrahlungswirkung. Überall wo die Sonne ihre Strahlen ungebremst durchlässt herrscht gute Thermik und dort wo Sie nur milchig schimmert, oder andere Wolken abschatten, ist die Thermik nur mässig. Das fordert mich ziemlich. So kann ich nicht immer die schönsten Wolken und Spots anfliegen, sondern muss mich vor allem darauf konzentrieren, wann und wo wieder ein Zirrenloch auftaucht bzw. wo die Sonne gerade kräftig die Berge anstrahlt.

Im Unterengadin harzt es, ich finde zwar immer wieder was und doch nicht wirklich und bis ganz unter die Basis schaffe ich es leider immer noch nicht. Es ist wie verhext….

Es ist 16:00 Uhr, meine von mir gesetzte Umkehrzeit. Querab vom Reschensee liegt mein östlichster Wegpunkt und ich trete meine Rückreise nach Kägiswil an. Spoiler Alert: Dass meine Rückreise zu einer wahren Odyssee wird, weiss ich zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht.

Der Osten deckt langsam aber sicher ab und die Kumuluswolken werden von der Abdeckung gefressen, so wirkt der Osten sehr düster und unfreundlich. Der Flug direkt in den Westen wirkt auch nicht sehr einladend, alles weiss und milchig und unzählige Wolken auf verschiedenen Basishöhen. So entscheide ich mich wieder über den Süden nach Hause zu fliegen. Der Rückflug wird dadurch distanzmässig etwas länger werden als geplant.

Zusammen mit einem anderen Segelflugzeug fliege ich in Richtung Ofenpass, auch er sucht einen Schlauch bis unter die Wolkendecke und wird auch nicht fündig. Ich fliege einmal mehr einen voll angestrahlten Talabschnitt an und versuche beim Munt-Chavagl mein Glück und finde… nichts!

Die Sonne brennt voll in die Felsenrunsen, der Wind steht günstig und trotzdem finde ich nichts. Das kann nicht sein! Ich fliege die Krete ab und suche…… aber ohne Erfolg. Ich will es immer noch nicht glauben und fliege nochmals die Krete zurück und plötzlich spüre ich den Aufwind und den Druck am Gesäss. Wusste ich es doch!!!
«Warum zeigst du dich erst jetzt, ich lasse mich doch nicht verarschen!» Werfe ich dem Aufwind entgegen 🙂

Wie es scheint hat der Wind in der Zwischenzeit auch weiter zugenommen, die Schläuche sind mehr waagerecht als lotrecht….

Die starken Aufwinde am Albulapass stimmen mich wieder zuversichtlich. «Wenn das so weitergeht, gibt das ja einen Super Streckenflug!»

Ich entscheide mich gegen einen Rückflug ganz im Süden und wähle die Route durchs Hinterrheintal um die Strecke etwas abzukürzen.

Vorbei am Piz Ela

Und hier beginnt die Misere. Beim Piz Arblatsch blässt der Wind so stark, dass ich die Thermik direkt über der Krete nirgends mit genügender Sicherheit auswerten kann. Der Wind versetzt mich zu stark und die Luft ist zu turbulent. Strömungsabriss oder ein Versetzen ins Lee will ich nicht riskieren. So muss ich ein kleines Stück zurückfliegen, um Anlauf zu holen. Die Abdeckung im Osten scheint sich nicht stoppen zu lassen und bereitet mir weiter Sorgen. Allzu viel Zeit darf ich hier beim Höhe tanken nicht verlieren….

Mit der Abdeckung im Nacken versuche ich möglichst rasch nach Westen zu kommen und muss schwache Thermik stehenlassen um weiter im Bereich der Sonneneinstrahlung zu bleiben. Bei den Grauhörnern, schleiche ich mich über die Alpschällilücka, um beim Gelbhorn tief unter dem Gipfel, aber an praller Sonne wieder Höhe zu gewinnen. Mit achten schlängle ich mich langsam aber sicher den Berg hoch. Kaum auf der Krete angelangt, schiebt sich die Abdeckung vor die Sonne und das Tal unter mir wird dunkel. «Na toll» denke ich mir. Mit voller Konzentration versuche ich den Aufwind so effektiv wie möglich zu nutzen, solange er mich noch trägt.

Mit Hang-Achten grabe ich mich wieder aus.

Den Aussenlandekatalog lege mich mir schon mal zurecht, nach Bad Ragaz wird es mit dem Gegenwind wohl eher knapp. Und ob ich es in den fernen Westen schaffe, steht in den Sternen. Ich rechne damit, dass mich die Abdeckung einholen wird. Da ich eine Landung auf der Wiese aber vermeiden möchte, versuche ich die Flucht nach vorne, zum Flugplatz Ambri. Mein aktuelles Ziel ist nicht mehr Kägiswil sondern die Betonpiste südlich vom Gotthard. Alle anderen Ziele nun sekundär.

Damit mir dies auf direktem Wege gelingt, fehlen mir noch ca. 200-300hm. In der Ferne neben dem Zervreilahorn sehe ich eine schöne Kumuluswolke, die Sonne scheint dort noch mit voller Stärke. Viele andere Optionen gibt es in der Gegend nicht, aber alle heute gesammelten Indizien sprechen dafür das es dort immer noch nach oben gehen muss.

Meine Vermutung bestätig sich. Ich bin erleichtert und erfreut, dass der Aufwind ordentlich Energie hat. Ich schaffe den Sprung ins Tessin und somit auch nach Ambri.


Im gestreckten Galopp fliege ich wieder zum Pizzo del Sole. Leider hat er keinen Zweitnamen wie Pizzo del Viento, deshalb macht er mir bzw. der Wind einen Strich durch die Rechnung. Den Flugplatz sehe ich jetzt gut unter mir, aber der Rückflug nach Kägiswil wird eine Challenge.

Beim Lago Ritom kann ich noch etwas Höhe gewinnen. Mit der Gewissheit, dass ich einen Flugplatz unter mir habe und leicht verzweifelt versuche ich einen Angriff auf die Gotthardfestung, um beim Pass um die Krete zu kurven und anschliessend mit dem Wind der an die Flanke bläst wieder Höhe zu erringen. Aber ich bin zu tief und der nun starke Wind von 25-35km/h, vereitelt meine verzweifelte Tat.

«Wenn es hier so stark sinkt muss es auf der anderen Seite entsprechend stark steigen.» So flüchte ich und wechsle schnurstraks die Teilseite.

Ziemlich weit hinten im Bedrettotal finde ich etwas auf 2200m. 2200m ist nicht gerade sehr hoch in diesem Alpinen Tal, aber der Rückflug nach Ambri ist immer noch gesichert. Etwas Müde vom langen Flug versuche ich dort nahe am Gelände höhere Hemisphären zu erreichen, etwas verrissen die Situation und nicht ganz einfach auszuwerten. Mit einem Zusatz an Effort und Konzentration schaffe ich es tatsächlich wieder auf 2700m zu steigen und in einem Aufwind weiterhinten im Tal sogar wieder auf 3100m. Und plötzlich sieht alles wieder ganz optimistisch aus!

All die Gedanken mit Hotel in Ambri und am nächsten Tag rausschleppen sind vergessen! Der Nufenenpass ist in Griffweite, mit ihm der Grimselpress und zu guter Letzt er Rückflug zum Startflugplatz Kägiswil!

Beim Nufenenpass finde ich erste Anzeichen einer Welle, Wolkenfetzen die nach oben gleiten und kann bereits einzige Zusatzmeter vor den Wolken ergattern.

Beim Blashorn, welch passender Name! Bestätigt sich meine Theorie. In der Welle steige ich auf 3500m. Dann sehe ich, dass sich über dem Grimsel Wolken auf etwa 2900m befinden, die den Pass beim und vielleicht sogar das Tal dahinter verstopfen.

Das schlimmste ist vorüber, Kägiswil ist in Griffweite


Etwas enttäuscht, nicht noch länger die Abendstimmung und die entspannende Zeit in der Welle zu geniessen zu können, muss ich meine langsame Reise nach oben abbrechen. Wie gerne hätte ich gewusst wie hoch ich gekommen wäre….

So fliege ich vor und erkundschafte die Lage beim Grimselpass. Nichts ist verstopft! Es gibt eine durchgehende Wolkendecke aber der Flug darunter ist frei.

«Unter den Wolken werden alle Ängste plötzlich nichtig und klein»….und ich lande wieder daheim!

Um 19:40 nach mehr als 9h Flug lande ich wieder voller Freude in Kägiswil.

Ein 700er war im Engadin angestrebt, aber der etwas holprige Rückflug hat mir heute meine Pläne vereitelt. Trotzdem war es einer der spannendsten und anspruchsvollsten Flüge der letzten Jahre und ich bin überrascht, dass ich es trotz erschwerter Bedingungen durch Wind und Wetter überhaupt soweit und vor allem wieder nach Hause geschafft habe.

Never give up!

Hier geht’s zum Flug:
https://seeyou.cloud/flight/public/6fn-8zGvNLPm3VUjS2AdI-#

Milan

Milan hat 2010 sein Brevet gemacht und fliegt seither bei der SGOW in Kägiswil.

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